Interviews mit Redakteurinnen und Redakteuren

Wir möchten wissen, wie Redaktionen arbeiten und was Sie als Presseverantwortliche an Ihrer eigenen PR-Arbeit bei der Erstellung von Pressematerial und im Dialog mit Redakteurinnen und Redakteuren besser machen können.

Fabian Gerstenberg im Gespräch mit...
Frederik von Castell, Chefredakteur vom medium magazin (veröffentlicht am 29.11.2024)
Nicole Basel, Chefredakteurin von impulse (veröffentlicht am 31.10.2024)

"Sprachmodelle wie ChatGPT 4o etwa sind sehr hilfreich, um redigierte, lektorierte und layoutete Texte noch ein letztes Mal auf ärgerliche Fehler [...] abzuklopfen."

Frederik von Castell, Chefredakteur vom medium magazin
(Foto: Manuel Horn/Oberauer Verlag)

Im Gespräch mit Frederik von Castell, Chefredakteur vom medium magazin

29.11.2024 - Frederik von Castell ist Chefredakteur des „medium magazins“. Zuvor war er Redaktionsleiter bei „Übermedien“, Faktencheck-Redakteur bei dpa, freier Datenjournalist (u.a. HR und SWR) und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Journalistischen Seminar der Universität Mainz. Von Castell gibt als Trainer und Lehrbeauftragter Kurse für Datenjournalismus, Recherche, Factchecking und Verifikation. Er findet Medienjournalismus gut, wenn er weder auf den streng erhobenen Zeigefinger und schnelle Verrisse aus ist, noch der Branche in braven Gesprächen eine Nabelschau liefert.

Fabian Gerstenberg: Wie viele Pressemitteilungen, Studienergebnisse oder Fachartikel erhalten Sie durchschnittlich pro Woche, die für Ihre redaktionelle Arbeit hilfreich sind?

Frederik von Castell: Allerhöchstens ein Dutzend. Und die sind, wie auch die Anfrage für dieses Interview, schon recht mühsam zu identifizieren, weil sie in einer Flut von Mails an das Medium Magazin unterzugehen drohen. Darin werden uns gesponserte Artikel, „exklusive“ Gastbeiträge und Interviewangebote zu in weiten Teilen uns vollkommen fremden Themen, von der Ausrichtung auf eine dann nochmal spezifische Zielgruppe ganz abgesehen, angepriesen. Kleiner Tipp an die PR-Abteilungen da draußen, die immer noch mit der großen Gießkanne verfahren: Weder haben Solarmodule noch Aktienkaufempfehlungen oder gar Produkte zur „Männergesundheit“ etwas mit dem zu tun, was wir als Medium Magazin für Journalistinnen und Journalisten mit unserem Fokus auf Hintergründiges aus der Branche, Praxistipps und Medienkritik leisten wollen. Oft ist es sogar so, dass vorgefertigte Inhalte angeboten werden, was auf nahezu komische Weise konterkarieren würde, was wir selbst erreichen und bei anderen begleiten wollen: Sauberen, unabhängigen Qualitätsjournalismus.

Fabian Gerstenberg: Wie wichtig ist der Neuigkeitswert oder die Exklusivität einer Pressemitteilung, damit sie in Ihrer Publikation berücksichtigt wird? Und wie hilfreich ist es in diesem Zusammenhang, wenn Agenturen und Unternehmen Ihren Themenplan kennen?

Frederik von Castell: Natürlich ist Aktualität ein wichtiges Kriterium im Journalismus. Aber das Angebot von Exklusivität über eine neue elektrische Massagematte für Bürostühle einer mittelständischen Firma zu lesen, ist schlicht Zeitverschwendung – mutmaßlich auf beiden Seiten. Solche Absender landen natürlich sofort auf der Spam-Liste. Wir haben schlicht nicht die Zeit, täglich zwei- bis dreihundert solcher Mails durchzusehen und zu löschen. Und auch der Blick auf unseren Themenplan befreit einen nicht davon, halbwegs mitzudenken. Wenn wir uns etwa in einer Ausgabe mit Nachhaltigkeit beschäftigen, dann meint das natürlich Nachhaltigkeit im Journalismus; wir wollen Neues wissen über Technologien, Konzepte, Studien, die helfen, hier Nutzwert und Inspiration zu liefern. Da wären auch passende Pressemitteilungen mit aktuellem Bezug natürlich willkommen. Stattdessen bekommt man mit Verweis auf unseren Themenplan PR-Gastbeiträge zu Komposttoiletten in Multivans angeboten.

Fabian Gerstenberg: Welche Plattformen, Datenbanken oder Netzwerke nutzen Sie und Ihr Team, um Inspirationen für Artikel zu finden, und wie können Unternehmen sich dort positionieren?

Frederik von Castell: Eine Kurzfassung: Als Redaktion, die sich mit dem Journalismus beschäftigt, sind wir bei der Themensuche primär Betrachter von journalistischen Inhalten in allen Formen. Für Hintergründiges und Exklusivität bedienen wir uns klassischer journalistischer Recherchemethoden, dazu gehören vor allem Quellen in der gesamten Branche. Die Kommunikationsabteilungen von Medienunternehmen versuchen natürlich auch, zu uns vorzudringen, wenn sie etwas als berichtenswert empfinden. Der beste Weg ist meiner Meinung nach immer noch die zielgerichtete, transparente Ansprache von Sachverhalten. Wer ein Jubel-Paket von der Stange liefert und das noch zusätzlich mit eigenen Spins überfrachtet, der braucht sich nicht wundern, wenn wir dann umso kritischer hinschauen. Lernen kann man hier von der Wissenschaftskommunikation: Ich lese deutlich mehr PMs zu Studien etwa von Instituten an Universitäten, selbst wenn ich schon im Betreff ahne, dass das Thema etwas abseitig unseres Fokus liegt. Weil ich dort eben nicht mit dem Holzhammer und überbordenden Versprechungen auf die nächste angebliche Sensation oder gar „Revolution“ – ein Schraubenhersteller etwa verschont uns trotz diverser Blockierversuche nicht mit solchen PMs – malträtiert werde. Sondern zumeist seriös aufbereitete Ergebnisse mit transparenter Methodik und eben auch kompetenten Ansprechpartner:innen vorfinde.

Fabian Gerstenberg: Inwieweit spielen Künstliche Intelligenz und automatisierte Tools in Ihrem redaktionellen Prozess eine Rolle, z.B. bei der Auswahl und Bearbeitung von Inhalten?

Frederik von Castell: Schon weil soziale Netzwerke längst nicht mehr ohne den Einsatz von KI arbeiten, kann es meines Erachtens gar keine Redaktion geben, die nicht beim Monitoring, in der Recherche und damit bei der Auswahl von Inhalten genauso wie in der eigenen Verbreitung mit KI konfrontiert ist. Bei uns ist das Thema nicht nur eines, das wir in der Branche beobachten und begleiten, sondern natürlich auch selbst mit KI-Tools arbeiten. Das geht über ein weites Spektrum von der schlichten Vereinfachung von Prozessen in der Organisation und Datenpflege bis zum Antesten von Funktionen, die Inhalte verbessern können. Eines von vielen Beispielen: Sprachmodelle wie ChatGPT 4o etwa sind sehr hilfreich, um redigierte, lektorierte und layoutete Texte noch ein letztes Mal auf ärgerliche Fehler wie falsche Namen oder falsche Bezüge abzuklopfen.

Fabian Gerstenberg: Welche Trends sehen Sie im Bereich der Nutzung von Künstlicher Intelligenz in der Redaktion und im Journalismus allgemein, und wie können Unternehmen diese Trends nutzen, um ihre Pressearbeit effektiver zu gestalten?

Frederik von Castell: Ich fürchte, es braucht nicht noch einen selbsterklärten Experten, der meint, KI-Trends deuten zu müssen. Ich halte es für wohltuender und ratsam, dass die Lücke zwischen dem, was KI-Anwendungen bereits ermöglichen und dem, was es braucht, um daraus verantwortungsbewusst Vorteile für das eigene Handeln zu ziehen, in Medienhäusern wie anderen Unternehmen gleichsam geschlossen wird. Das wäre für die eine oder den anderen doch ein schöner Vorsatz für das neue Jahr.

Fabian Gerstenberg: Vielen Dank für Ihre Antworten.

"Wir erhalten sehr viele Nachrichten, die absolut nichts mit unserer Zielgruppe zu tun haben."

Nicole Basel, Chefredakteurin von impulse

Im Gespräch mit Nicole Basel, Chefredakteurin bei impulse

31.10.2024 - Nicole Basel, Jahrgang 1980, studierte Volkswirtschaftslehre, Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft in Münster. Ausbildung an der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Es folgten Stationen bei der Financial Times Deutschland und als freie Journalistin. 2013 wurde sie Redakteurin bei impulse, seit 2015 leitete sie die Online-Redaktion. Seit Januar 2020 ist sie Chefredakteurin des Unternehmermagazins. Daneben übernahm sie auch die Programmleitung der impulse-Akademie. 2023 zählte der Branchendienst kress sie zu den zehn besten Zeitschriftenchefredakteurinnen und –redakteuren des Jahres.

Fabian Gerstenberg: Wie gut kennen Kommunikatoren, die erstmals Kontakt zu Ihrer Redaktion aufnehmen, Ihren Titel und wie gut sind die zur Verfügung gestellten Texte auf Ihre Zielgruppe ausgerichtet?

Nicole Basel: Das ist extrem unterschiedlich. Wir bekommen sehr viele Nachrichten, die absolut nichts mit unserer Zielgruppe zu tun haben. Dann erhalten wir Themenvorschläge, die sich zwar zum Beispiel ums Arbeitsleben drehen, sich aber auf die Perspektive von Mitarbeitenden beziehen - unsere Zielgruppe sind aber Unternehmerinnen und Unternehmer. Es gibt allerdings auch PR-Agenturen, die uns seit Jahren kennen und verstehen, nach was wir suchen. Dass ein Vorschlag wirklich passt, ist trotzdem extrem selten. Ich würde grob schätzen, dass 1 von 500 E-Mails, die ich persönlich bekomme, für uns relevant sind.

Fabian Gerstenberg: Welche Fehler sollen Agenturen in der Kommunikation mit Ihrer Redaktion vermeiden?

Nicole Basel: 1. Themen vorschlagen, die nicht zu unserer Zielgruppe passen. 2. Themen vorschlagen, zu denen wir bereits Artikel auf unserer Website haben. 3. Offensichtlich tricksen, um Aufmerksamkeit zu bekommen: Wenn ich etwa Mails bekomme, die im Betreff vortäuschen, dass bereits ein Austausch stattgefunden hat (Betr.: Re: ....), dann lösche ich die E-Mail ungelesen.

Fabian Gerstenberg: Welche Bedeutung haben Konkurrenztitel für Ihre Redaktionsarbeit und wie wichtig sind exklusive Inhalte von Seiten der Presseabteilungen?

Nicole Basel: Wir übernehmen keine Inhalte von Agenturen oder Pressemitteilungen. Ein exklusiver Zugang zum Beispiel zu Interviewpartnern ist für uns wenig relevant.

Fabian Gerstenberg: Inwieweit nutzen Sie KI für die Erstellung von redaktionellen Inhalten?

Nicole Basel: Wir nutzen KI nicht zu Erstellung redaktioneller Inhalte.

Fabian Gerstenberg: Vielen Dank für Ihre Antworten.

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